6. eHealth-Kongress Rhein-Main und Hessen 2019: Gesundheits­versorgung im digitalen Zeitalter

Die vier Veranstalter des 6. eHealth-Kongresses Rhein-Main und Hessen in der IHK Frankfurt am Main waren: Das Ministerium für Soziales und Integration, die IHK Hessen innovativ, die Techniker Krankenkasse (TK) in Hessen und die Initiative gesundheitswirtschaft rhein-main e.v.

Auf dem eHealth-Kongress 2019 diskutierten über 500 Teilnehmer in acht Experten-Foren die aktuellen eHealth-Themen: Datenschutz und Datensicherheit bei elektronischen Gesundheits- und Patientenakten, Digitalisierung in der Pflege und in der Therapie psychischer Erkrankungen, Videosprechstunden oder Apps auf Rezept sowie Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz (KI) im OP. Der Fachberater und Hauptorganisator des Kongresses, Dr. Lutz Reum, organisierte die Fachforen und stellte ein zukunftsorientiertes und praxisnahes Themenspektrum zusammen. Der hessische Fachkongress über eHealth stellt die neuesten Innovationen, Produkte und IT-Systeme vor, die die Gesundheitsversorgung flächendeckend erleichtern. „Telemedizin eröffnet Chancen, denn sie bringt medizinische Expertise zu den Menschen und überbrückt Distanzen. Damit ist sie ein Schlüssel zu einer weiterhin wohnortnahen Versorgung. Diese Entwicklung sehen wir positiv und verstehen die Digitalisierung als Chance, Versorgung effizienter zu gestalten, Bürokratielasten abzubauen und Gesundheitskompetenz dauerhaft zu stärken. Dabei denken wir aus der Perspektive der Patientinnen und Patienten und möchten ihnen Wege ersparen, den persönlichen Kontakt zum Arzt aber nicht ersetzen“, erklärte Kai Klose, Hessischer Minister für Soziales und Integration und Schirmherr des eHealth-Kongresses 2019. Moderator Detlef Hans Franke, FuP Kommunikation GmbH und Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Initiative gesundheitswirtschaft rhein-main e.v stellte bei einer Live-Umfrage des Publikums fest, dass rund 86 Prozent der Umfrageteilnehmer der Ansicht sind, dass wir noch am ganz Anfang der Digitalisierung im Gesundheitswesen stehen.

Die digitalen Entwicklungen im Gesundheitssystem bedürfen allerdings rechtliche Rahmenbedingungen. Nach dem Gesetz für sichere digitale Kommunikation und Anwendungen im Gesundheitswesen (E-Health-Gesetz) wird nun das Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) folgen, welches die Veranstalter des Kongresses begrüßten. 2020 soll das DVG in Kraft treten. Das Gesetz sieht vor, Leistungserbringer wie Krankenhäuser, niedergelassene Ärzte, Apotheken und Pflegeeinrichtungen flächendeckend miteinander zu verbinden. Eine gestärkte telemedizinische Versorgung ermöglicht den Ärzten und Patienten beispielsweise eine Kommunikation per Videotelefonie – die sogenannte Videosprechstunde. Die Patienten sollen in Zukunft auch Apps auf Rezept zu Hause nutzen können.
Auf dem eHealth-Kongress wurde hierzu die „Digitale Toolbox für Hausärzte“ vorgestellt, die von der BARMER.i in Kooperation mit Hausärzten entwickelt wurde. Die Apps unterstützen mit Erinnerungsfunktionen an die Einnahme von Medikamenten oder erklären in Videos Übungen gegen akute Rückenschmerzen. Wer sein Rezept auch von zu Hause aus einlösen möchte nutzt den geschützten E-Rezept Dienst der Apotheken (GERDA). Christian Krüger, Geschäftsführer der Netzgesellschaft Deutscher Apotheker mbH, erklärte das Projekt den Teilnehmern des Fachforums. Das Modellprojekt GERDA soll in den beiden Testregionen Stuttgart und Tuttlingen auf Herz und Nieren geprüft werden. Der Arzt kann mit Hilfe des E-Rezept Diensts das Rezept verschlüsselt an den Rezeptspeicher GERDA senden. Der Patient kann auf das E-Rezept zugreifen und entscheiden, in welcher Apotheke er es einlösen möchte. Mit dem sogenannten „N-Ident-Verfahren“ kann die Apotheke im Auftrag des Patienten auf das Rezept zugreifen.

Voraussetzungen solcher Dienste sind ein sicheres und verlässliches Datennetz und der Schutz der sensiblen Patientendaten. Daher diskutierten die Experten eines weiteren Forums über die Themen Sicherheit und Datenschutz bei Gesundheits- und Patientenakten. Im Fokus stand die elektronischen Patientenakte (ePA), die ab 1. Januar 2021 von den gesetzlichen Krankenkassen ihren Versicherten angeboten werden müssen, wobei deren Nutzung freiwillig ist. Die Experten betonten die konstruktive Arbeit an den Sicherheitsmechanismen und Verschlüsselungstechniken zum Schutz der Gesundheitsdaten. „Das Wichtigste, das wir beim Entwickeln und Unterstützen innovativer Anwendungen im Blick haben sollten, ist der konkrete Nutzen für die Versicherten. Die elektronische Gesundheitsakte TK-Safe knüpft genau an diesen Gedanken an. Der Versicherte hat alle wichtigen Dokumente an einem zentralen Speicherort, was zum Beispiel im Gespräch mit dem Arzt sehr nützlich ist. Die Versicherten gewinnen einerseits Souveränität über ihre persönlichen Gesundheitsinformationen. Andererseits erhalten sie ein Tool, mit dem sie ihre Gesundheit aktiv managen können. Wir begrüßen es, dass ab 2021 alle Krankenkassen elektronische Patientenakten anbieten müssen. Durch die neue Gesetzgebung kommt Dynamik in das Thema”, sagte Dr. Markus Schlobohm, Geschäftsbereichsleiter Unternehmensentwicklung der TK.

Die Techniker Krankenkasse (TK) in Hessen organisierte auch in diesem Jahr wieder ein „Future Panel by TK“. Die Experten des Panels stellten vor, wie sie Künstliche Intelligenz (KI) im Bereich Forschung und später in der Praxis einsetzen. Der Internist und Leiter des Zentrums für unerkannte und seltene Erkrankungen (ZusE) in Marburg, Prof. Dr. Jürgen Schäfer, erklärte wie mit Hilfe von Computersoftware Krankheitsbilder erkannt und Therapieansätze entwickelt werden können. Diese digitalen Assistenz-Systeme werden zunehmend auch im Operationssaal (OP) genutzt. Dort kann KI beispielsweise bei Komplikationen den Chirurgen wichtige Informationen während der Operation liefern. Expertin Prof. Dr.-Ing. Stefanie Speidel vom Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen in Dresden betonte das Potential der KI verbesserte Operationsergebnisse zu erzielen.

Digital gestützte Therapien kommen nicht nur im OP zum Einsatz, sondern auch bei der Diagnostik und Therapie von psychischen Erkrankungen. Das Berliner Startup Selfapy entwickelte ein Online-Therapieportal für Menschen mit einer psychischen Erkrankung. Dijana Korenic erklärte den Teilnehmern des Forums, dass vor allem die Wartezeit auf einen Therapieplatz überbrückt werden solle. Durchschnittlich warten Betroffene bis zu sechs Monate auf einen Platz. Die Online-Kurse sind in den Alltag integrierbar, geografisch und zeitlich flexibel nutzbar, anonym und können auch zur erfolgreichen Prävention und Nachsorge der Patienten beitragen.

Digitale Therapieansätze finden sich auch in der ambulanten, teil- und vollstationären Behandlung bei Vitos. Vitos Herborn testet derzeit das digitale Unterstützungsprogramm „Novego“ für Patienten mit Ängsten, Depression und Burn-out. Das Angebot soll therapieergänzend wirken, um beispielsweise die Wartezeit auf einen Behandlungsplatz zu überbrücken. Der Patient kann auch Stimmungs- und Aktivitätenprotokolle erstellen, die im persönlichen Gespräch analysiert werden können. Auch soziale Robotik kommt bei Vitos zum Einsatz: Die Robbe „Emma“, die auf Berührungen reagiert, wirkt beruhigend auf Patienten, die an Demenz und Depressionen erkrankt sind.

Dass Roboter einen positiven Effekt auf kranke und ältere Menschen haben, zeigte auch das Fachforum mit dem Schwerpunkt Digitalisierung in der Pflege. In der Tagespflege „Ursula Wiegand“ der Caritas Sozialstation St. Johannes e.V. in Erlenbach am Main ist der humanoide Roboter „Pepper“ im Einsatz. Pepper kann administrative Aufgaben übernehmen und die Arbeitsorganisation des Teams verbessern. Weiterhin schafft der kleine Roboter Beschäftigungsmöglichkeiten wie Konzentrations- und Gedächtnisspiele. Den Bewohnern der Tagespflege liest Pepper Märchen vor und stimmt verschiedene Lieder an. Seit Januar 2019 unterstützt Pepper die Tagespflege in Erlenbach. Das Modellprojekt wird zwei Jahre andauern.

Michael Burkhart, Vorsitzender der Initiative gesundheitswirtschaft rhein-main e.v und Leiter Gesundheitswirtschaft und Managing Partner Region Mitte bei PwC Germany, erklärt den allgemeinen Nutzen des eHealth-Kongresses Rhein-Main und Hessen für die Qualitätssteigerung des deutschen Gesundheitssystems: „Wie das aktuelle PwC Healthcare-Barometer zeigt, zählt die Mehrheit der Bundesbürger das deutsche Gesundheitssystem nach wie vor zu den besten drei der Welt – seit mehreren Jahren allerdings mit rückläufiger Tendenz. Immer längere Wartezeiten, steigende Kosten und vor allem der Fachkräftemangel sind Gründe dafür und machen auf einen schleichenden Qualitätsverlust aufmerksam, den auch die Bevölkerung zunehmend spürt. In meinen Augen stellt die Digitalisierung die klare Antwort auf diese Herausforderung dar. Was wir dafür aber brauchen, sind neue Ansätze zum Beispiel bei Finanzierungsthemen und die Anpassung gesetzlicher Rahmenbedingungen durch die Politik“.

Doch digitale Innovationen entstehen längst nicht mehr in den geschlossenen Forschungsabteilungen von Unternehmen allein. „Großes Potenzial verspricht die Zusammenarbeit mit Startups. Startups überzeugen mit ihren ausgeprägten digitalen Kenntnissen, ihrer Kundenorientierung, ihrer Arbeit in Netzwerken und ihrer kreativen Unternehmenskultur“, so Dr. Michael Groß, Vizepräsident der Industrie und Handelskammer, Frankfurt am Main.

Die Industrie- und Handelskammern sehen in der Telemedizin zukunftsorientierte Entwicklungsmöglichkeiten besonders für den hessischen Mittelstand. Bei dem von IHK Hessen innovativ organisierten Matchmaking „Startups meet Corporates“ vernetzten sich während des Kongresses zahlreiche digitale Startups und etablierte Unternehmen mit dem Ziel Kooperationen anzubahnen und gemeinsame eHealth-Projekte zu entwickeln.